Die Ahnen by Freytag Gustav
Autor:Freytag, Gustav
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T05:00:00+00:00
Der Mitbruder
Wieder wehte der Mai mit warmem Hauch durch das Land und hing sein grünes Gewand um die entlaubten Bäume, wieder regte sich das frohe Leben auf Heide und Flur, und die Herzen der bekümmerten Menschen erhoben sich in neuer Hoffnung. Auch in dem Edelhofe war der goldene Schein zu erkennen, welchen das Sonnenlicht in die Seelen warf. Jedermann schritt stolzer einher; wer den ganzen Winter kein Lied gesungen hatte, der summte jetzt die fast vergessene Weise; aus den Kammern der Knechte erklang jeden Abend ein lustiger Rundgesang. Lutz, der sich wenig über den Winterfrost gegrämt hatte, bürstete viel über Bart und Haar und betrachtete vergnügt die glänzende Borte, welche er seinem Mädchen als Gürtel schenken wollte; Nikolaus war oft über seiner neubesaiteten Laute zu finden, und sogar der Marschalk ehrte die frohe Jahreszeit, indem er eigenhändig einen großen Topf mit Farbe über den Hof trug und den Knechten gebot, das Speerholz säuberlich mit den Wappenfarben des Herrn zu bemalen. Ivo blickte wieder von der Galerie herab auf das kleine Baumgehege an der Mauer und hörte lachend auf den Gruß des thüringischen Finken, den er jahrelang nicht vernommen hatte. Öfter als sonst ließ er sein Pferd satteln, um nach dem Hofe des alten Bauern zu reiten. Denn dort erwartete ihn ein Weib, das er seit der Heimkehr gern als seine Schwester begrüßte.
Aber mit dem Frühling kam auch die Unruhe und Reiselust in das Volk; überall sprachen die Leute von der neuen Kreuzfahrt, die den Seelen ebenso heilsam sein sollte wie die früheren und doch weit weniger mühsam. Oft verließ die Dorfjugend den Anger und das Spiel mit dem bunten Ball, um auf die heftigsten Mahnungen eines braunen Mönches zu hören, der auf dem Kirchhofe zur Fahrt in das Preußenland trieb und dabei von der Fülle guter Dinge berichtete, welche dort für begehrliche Weltkinder zu finden seien. Zuweilen zogen auf der Landstraße wandernde Haufen mit Gesang und Geschrei dem Ostlande zu, meist leichtfertiges und unstetes Volk, die ersten Schaumwellen der beginnenden Strömung, doch war auch mancher ehrenwerte Mann darunter, und in den Dörfern der Umgegend nannte man bereits die Namen seßhafter Wirte, welche ebenfalls daran dachten, sich zu erheben. Stärker als in anderen Jahren arbeitete das Sommerleben in der Natur und in den Seelen der Menschen, der Frühling war spät gekommen, aber als heißer und starker Gebieter. Fast plötzlich bedeckte sich der Grund mit Grün und die Obstbäume mit ihrem weißen Blütenschmuck; in unaufhörlichem Wechsel folgten heißes Tageslicht und befruchtender Regen, und wenn der Ackersmann auf die üppig wuchernde Saat schaute, so schüttelte er wohl das Haupt über die unerwartete Herrlichkeit und sorgte, daß der kalte Feind noch einmal zerstörend in das Land dringen werde.
Nach einem warmen Tage trat Ivo auf den Söller seines Hauses. Er staunte über den Wohlgeruch, welcher von der Wiese und den Blütenbäumen aufstieg, die Sonne war glühendrot gesunken, kein Tropfen Tau hing am Boden, und die stille Luft wurde ihm so schwül, daß er sein Gewand aufriß. In der Höhe zogen die Wolken hastig um die
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